Es ist 8:30 Uhr und das allradgetriebene Geländefahrzeug steht vor dem Care Centre bereit. Heute habe ich die Gelegenheit mit Patrick und Wiseman zu Ihren Hausbesuchen zur AIDS-Therapie Begleitung hinauszufahren. Ich kenne beide von früheren Besuchen und es ist ein schönes Wiedersehen. Da Bedingung für den Erfolg der antiretroviralen Therapie eine regelmäßige unterbrechungslose Medikamenten-Einnahme ist, aber die meisten Patienten weitab in Slums und den Streusiedlungen verteilt im Zululand wohnen und selbst kaum in die Sprechstunde des Care Centres kommen können, sind regelmäßige Hausbesuche eine Voraussetzung dieser Behandlung. Mehrere Hundert AIDS-Patienten bekommen durch die Bruderschaft des Seligen Gerhard eine Antiretrovirale Therapie. Nach umfangreichen Schulungen vor Beginn der Therapie müssen die Patienten regelmäßig nachbetreut werden. Antiretrovirale Therapie ist weit mehr als nur Tabletten verteilen, wie manche Menschen weit in Europa oft glauben. Eine komplexe Beratung vorher, eine umfangreiche ärztliche Behandlung und eine professionelle Weiterbetreuung durch Hausbesuche gehören zu diesem Programm. Wichtig auch deshalb, weil viele Patienten oft gar nicht lesen oder schreiben können. Die Patienten sind bettelarm, leben unter widrigsten Verhältnissen und hätten keinen südafrikanischen Rand um die lebensnotwendige Therapie zu bezahlen. Aber ohne die Behandlung würden sie sehr schnell in das Endstadium von AIDS kommen und sterben müssen. Unter der Behandlung kann der Ausbruch der Krankheit über viele Jahre bis Jahrzehnte hinausgezögert werden und in dieser Zeit können diese Menschen ihre Kinder großziehen, einer Arbeit nachgehen und ihre Gärten und Felder bestellen und weiterleben.
In das Therapieprogramm (HAART-Programm) können HIV positive oder bereits an AIDS erkrankte Menschen unter bestimmten medizinischen Kriterien aufgenommen werden. Ein medizinisch komplexer Entscheidungsmechanismus, der vom ärztlichen Leiter des Zentrums der Bruderschaft des Seligen Gerhard, Dr. Khaya Nzimande, unter Anwendung international anerkannter Kriterien, verantwortet wird.
Da nur ein einziger Tag versäumter Medikamenteneinnahme eine Mutation des Virus und damit das Ende der Behandlungsmöglichkeit und den erneuten Ausbruch der Krankheit bewirken kann, ist eine kontinuierliche Betreuung wichtig. Diese Betreuung übernehmen Patrick und Wiseman in Hausbesuchen. Die beiden sind mit je einem Geländeeinsatzfahrzeug täglich unterwegs um diese Menschen in Ihrem Wohnungsumfeld zu besuchen.
Abfahrt: Ich sitze neben Patrick auf dem Beifahrersitz. Wir unterhalten uns, haben viel zu berichten. Die Bruderschaft des Seligen Gerhard heißt in kirchlicher Tradition nicht nur so - in dieser gemeinsamen Hilfe sind wir als Helfer auch wirklich Brüder (und Schwestern).
Wir fahren aus dem Care Centre heraus und biegen auf die gut asphaltierte Wohnstraße ein, fahren bis zur Kreuzung an der Papierfabrik SAPPI vorbei. Die Fahrt weiter in Richtung des Townships ISithebe und weit darüber hinaus. Vor einigen Jahrzehnten war hier Buschland, dann haben sich große Fabriken angesiedelt, viele Menschen sind hergezogen, aber später auch mit dem Ergebnis großer Arbeitslosigkeit und Armut durch Änderungen industrieller Produktionsweisen und ökonomischer Verwerfungen. Irgendwann verlassen wir die geteerten Straßen. Ab hier ist Geländegängigkeit eines Fahrzeugs Voraussetzung um weiterzukommen. Auf Wegen, die den Namen Straße nicht mehr verdienen geht es „über Stock und Stein“ weiter. Die Fahrzeuge der Bruderschaft des Seligen Gerhard sind hier draußen bekannt. Wir werden von vielen Menschen mit Freude begrüßt, kleine Kinder winken uns zu. Die Bruderschaft des Seligen Gerhard ist oft die einzige Hilfe, die die Menschen hier draußen bekommen. Zusammen mit Patrick besuche ich Menschen, die teilweise und widrigsten Bedingungen ohne Strom und ohne
Sanitäreinrichtungen in sehr einfachen Hütten wohnen. Menschen, bei denen sich aber auch der positive Effekt der antiretroviralen Therapie zeigt. Diesen Menschen kann durch diese Therapie ein symptomfreies aktives Leben ermöglicht werden. Ohne diese durch die von der Bruderschaft des Seligen Gerhard angebotenen ärztlich geleiteten Therapie würden diese Menschen schnell sterben wie so viele andere auch. So fahren wir einen unwegsamen Pfad herauf, der nur mit dem Four-Wheel-Drive befahrbar ist. Plötzlich liegt ein Baumstamm quer über den Weg, es geht nicht weiter. Patrick und ich steigen aus und müssen erst einmal den Baumstamm zur Seite räumen. Bald erreichen wir eine einfache Hütte ohne jeden Komfort. Der einzige Luxus ist ein im freien stehendes WC-Häuschen, natürlich ohne sanitäre Installation – einen Kanalisationsanschluss gibt es hier nicht. Uns begrüßt ein etwa 30 Jahre alter Mann in sehr ärmlicher teilweise zerrissener Kleidung. Aber er ist frohen Mutes und erscheint gesund. Er ist sehr dankbar und für die durch die BBG geleistete Therapie und dafür, dass es ihm wieder so gut geht. Nur durch unsere Hilfe konnte er die Symptome eines fortgeschrittenen AIDS überwinden und wieder zu Kräften kommen. Wenn er weiterhin seine täglichen Medikamente nimmt kann er sicher noch ganz viele Jahre ein aktives Leben führen. Früher sind noch viele mehr Menschen an den Folgen von AIDS gestorben und noch immer sterben viel zu viele (In Afrika pro Jahr 2 Millionen Menschen) täglich an den Folgen dieser Erkrankung ärmlich in Ihren Hütten. Aber dieser Mann ist ein Beispiel, dass die Hilfe auch weitergeht. Voller Stolz zeigt er uns seinen neu angelegten Garten, dessen Gemüse er verkaufen kann um sich etwas zu verdienen.
Noch weiss ich nicht dass ich an diesem Nachmittag zusammen mit Wiseman auch zu Leuten komme, bei denen es für eine Therapie viel zu spät ist. Menschen, die ohne unsere Hilfe bis auf die Knochen abgemagert auf dem Lehmboden ihrer Hütten ohne Pflege, ohne Sanitäreinrichtungen, ohne Strom und ohne menschliche Zuwendung sterben müssten.
Gegen Mittag nach einem Vormittag in den Armut-Gegenden und Siedlungen und einiger Besuche bei Menschen, die durch die antiretrovirale Therapie ein zwar armes aber symptomfreies aktives Leben führen können kehren wir aus den Townships und den darüberhinausgehenden Siedlungsgebieten im Zululand ins Care Centre zurück. In einen Himmel von Zuwendung und Pflege; so empfinde ich es wirklich, wenn ich die bittere Armut da draußen mit dem sauberen, hellen und freundlichen Pflegezentrum vergleiche.
Nachmittags fahre ich eine andere Route zusammen mit Wiseman. Erneut verlassen wir das Pflege- und Hospiz-Zentrum und machen uns auf den Weg in die Townships. Wieder verlassen wir die geteerten Straßen. Die Wohnsituation der Menschen wird immer trostloser. Einfache Hütten, als einziger „Luxus“ wieder ein Klohäuschen im freien ohne Wasserspülung. Über Wege, die als solche nur noch kaum erkennbare sind, arbeitet sich der allradgetriebene auch nur durch Spenden finanzierte Geländewagen eine Anhöhe herauf. Wieder sind wir hier die einzigen die zur Hilfe kommen. Die Menschen sind im Grunde verlassen und allein. Wir kommen in die Hütte eines jungen Mannes, um die 20 Jahre alt dürfte er sein. Das einzige Zimmer besteht aus ganz wenigen uralten Möbeln, die in Europa sogar beim Sperrmüll negativ auffallen würden. Der Mann, auf einem Augen blind, sitzt in sich gekehrt auf einem Stuhl. Der Blick in die Ferne gerichtet. Er klagt über Schmerzen und Taubheitsgefühl in den Beinen. Wiseman erkennt sofort, dass dieser Mann den Arzt im Therapiezentrum aufsuchen müsste, damit dieser die Ursachen der Beschwerden herausfindet und helfen kann. Nur kann dieser Mann nicht aus eigener Kraft in das Care Centre kommen. Er kann sich keinen Transport organisieren, ja nicht einmal Geld um für seine Nahrung sorgen, er hat keine Arbeit. Er lebt von der medizinischen Hilfe der BBG und auch durch Nahrungsmittelspenden dieser. Aber helfen muss man ihm und so organisiert Wiseman über sein Mobiltelefon einen Termin mit unserem Arzt und wird ihn dann selbst in seinem Einsatzfahrzeug abholen und ihn in das Therapiezentrum bringen. Wir fahren weiter zu einer Familie. Sehr betroffen berichtet mir Wiseman dass diese ganze Familie HIV positiv und teilweise bereits an AIDS erkrankt. Nur durch die Antiretrovirale Therapie kann diesen Menschen ein symptomfreies aktives Leben ermöglicht werden. Heilbar im eigentlichen Sinne ist AIDS nicht - durch die Therapie kann aber der Ausbruch der Krankheit um bis zu zwei Jahrzehnte hinausgezögert werden. Andernfalls würde diese ganze Familie schon bald sterben müssen. Und das ist nicht nur eine Seltenheit hier sondern eigentlich in den letzten Jahren der Normalfall gewesen. Und noch immer müssen zu viele Menschen sterben und brauchen die Pflege und Zuwendung im Hospiz. Weder die staatlichen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen noch die staatlichen Therapieeinrichtungen haben die erforderlichen Kapazitäten ausreichend Hilfe zu leisten. Viele Menschen sind angewiesen auf die spendenbasierte Hilfe einer humanitären Hilfsorganisation wie der Bruderschaft des Seligen Gerhard.
Wir fahren weiter zu einer Familie, die wieder unter sehr armen Verhältnissen lebt. Die Patientin ist die 16 jährige Tochter. Vor wenigen Jahren wurde sie vergewaltigt und hat jetzt selbst einen Säugling, der ebenfalls bei ihr und den Eltern lebt. Auch das leider eine ganz normale Geschichte in diesem Teil der Welt. Noch immer herrscht bei vielen HIV-positiven Männern hier der Glaube durch sexuellen Verkehr mit einer HIV-negativen Jungfrau könnte man den Virus wieder loswerden. Dadurch wird HIV/AIDS weiterverbreitet und daher sind auch Aufklärungsprogramme wichtig und ein solches Aufklärungsprogramm ist eines der Projekte der Bruderschaft des Seligen Gerhard. Nun ist das Mädchen selbst HIV positiv und nur durch die antiretrovirale Therapie kann sie leben und für ihren kleinen Säugling sorgen. Doch hier werden wir alarmiert. Die Mutter des Mädchens bittet uns doch mal nach dem Nachbarn zu schauen, dem geht es wirklich schlecht. Um dort hin zukommen nehmen wir unseren Wagen und fahren ein Stück über einen Hügel. Wiseman berichtet mir „staatliche Krankenwagen fahren hier draußen nicht hin. Sie haben keinen Allrad und nicht genug Fahrzeuge und es ist zu weit. Die etwas „reicheren“ Leute wohnen in einfachen Hütten an den geteerten Straßen, die ganz armen in noch primitiveren Hütten hier weit draußen und allein.“ Dort betreten wir eine dunkle, schmutzige feuchte Wellblechhütte. Auf einer alten rostigen Liege ohne Matratze nur mit einer Decke liegt ein völlig abgemagerter hilfloser Mann und hustet schrecklich. Er hat Tuberkulose und natürlich auch AIDS. Seine Tuberkulosetabletten hat er schon lange nicht mehr genommen. Immer schwächer liegt er nun absolut hilflos da, bis auf die Knochen abgemagert. Ohne Hilfe würde dieser Mann die kommenden Tage wahrscheinlich nicht überleben. Wir kennen sofort dass dieser Mann in das Hospiz muss. Staatliche Krankenhäuser würden diesen Mann nicht versorgen. Er hat nichts, kann nicht bezahlen und ist natürlich nicht krankenversichert (weil es ein staatliches Krankenversicherungssystem wie z.B. in Westeuropa nicht gibt) und Personal und Medikamente fehlen in den staatlichen Krankenhäusern auch oft. In unserem Geländefahrzeug können wir ihn nicht mitnehmen und Wiseman telefoniert mit der Besatzung der Ambulance. Schon bald kommt die Ambulance der BBG zusammen mit zwei ausgebildeten Krankenschwestern und Sanitätern und bringt den armen Mann mit seinem Einverständnis aus der Hölle dieses Drecks und der Armut in den Himmel der Pflege und der Zuwendung des Care Centres. Wahrscheinlich ist es zum ersten Mal in seinem Leben, dass diesem Mann überhaupt jemand hilft. Wenn ich ihn sehe erscheinen in meinem Kopf die Bilder von den KZ-Opfern, genau so abgemagert ist er und genauso krank. Ich habe in meiner über 20 jährigen Arbeit als Arzt vermutlich viel gesehen, aber hier muss ich gewaltig mit meinen Gefühlen kämpfen. Ich spüre dass mir bald die Tränen kommen aber ich bin als Helfer hier und muss Professionalität zeigen.
Aber gut erinnere ich mich wie ich diese Situationen vor einigen Jahren hier im Zululand zusammen mit meiner Frau Martine zum ersten Mal erlebt habe. Auch damals sind wir beim Einsatz stark geblieben, haben aber oft genug am Abend nach einem solchen Tag geweint - aus Trauer für diese Menschen aber auch aus Glücklichkeit darüber dass die Bruderschaft des Seligen Gerhard diesen armen Menschen Hilfe bringen kann. Für jeden einzelnen dieser Menschen lohnt sich dieser ganze Aufwand und die ganze Hilfe - bedingungslos.
Auf unserer weiteren Fahrt werden wir mit vergleichbaren Situationen konfrontiert. Das Bild ist ähnlich und im Grunde genommen kaum mit Worten zu beschreiben. Nach diesem langen Tag, an dem ich in den Slums und Townships diese Menschen in ihrer Armut und Krankheit sehe, aber auch die positiven Entwicklungen der durch die Hilfe der Bruderschaft des Seligen Gerhard geleisteten Therapie, gehen mir viele Bilder durch den Kopf. Der Wohlstand in Europa und die Notwendigkeit der Hilfe. Und mein dringender Aufruf an alle Leser dieses Newsletters, die weitere Arbeit der Bruderschaft des Seligen Gerhard mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und Spenden zu unterstützen. Es ist wirklich wichtig. Es geht um Leben und Tod und um die Menschenwürde - und um nichts weniger.