Ein Erlebnisbericht von Dr. Katja Heering über ihren Besuch im Blessed Gérard‘s Care-Zentrum vom 9. - 22. März 2012
Es ist nicht das erste Mal, dass ich nach Südafrika fliege. Ich habe Glück und Familie, die herrlich lebt zu Füßen des Helderberg, in der Ferne sieht man die kühlblaue Weite des Atlantiks. Aber heuer verbinde ich den Besuch mit der Weiterreise nach Durban. Und dort holt mich Wiseman ab, ein Therapieberater aus Mandeni. 60 km fahren wir durch das saftig grüne Hügelland in den Norden der Metropole Durban. Hier in Mandeni gibt es seit fast zwanzig Jahren das caritative Zentrum der „Brotherhood of Blessed Gérard“.
Der Selige Gerhard lebte vor langer Zeit im Heiligen Land. Um den Notleidenden seiner Zeit besser helfen zu können, gründete er die Ordensgemeinschaft, aus der sich der Malteser Ritterorden entwickeln sollte, der sich bis zum heutigen Tag genau wie ihr Gründer vor 900 Jahren dem Dienst an Armen und Kranken widmet. Und einer der jüngsten Zweige an diesem lebendigen Baum wächst hier im südafrikanischen Mandeni, einem mehr oder weniger stark besiedelten Teil der Provinz KwaZulu/Natal. Denn Notleidende hat es hier sehr viele.
1991 wird der Gemeinde St. Anthony ein neuer Pfarrer zugewiesen: P. Gerhard Lagleder OSB, der in Personalunion aktiver Malteser (Pfleger, Rettungssanitäter, Ausbilder und Fachbuchautor) und überzeugter Gottesmann ist. Ein Leib- und Seelsorger sozusagen. Seit erst vier Jahren ist er damals in SA, spricht jedoch schon fließend Zulu und hatte bereits eine Kaplanstelle im Norden der Provinz inne. Gleich in der ersten Woche ruft man ihn zu einer Schwerkranken. Ihre Krankheit ist in Wirklichkeit Unterversorgung. Es fehlen Nahrung, Medikamente, Pflege, Hilfsmittel. Die keineswegs alte Frau stirbt. Bald darauf gelangt die Bitte einer vielköpfigen Zulu-Familie um Hilfe an die Pfarrei; Pater Gerhard gibt sie via Kanzel weiter, und in ganz kurzer Zeit sind durch die Initiative von Mrs. Clare Kalkwarf, einer berufstätigen Hausfrau und Mutter aus der St. Antony Gemeinde, tragbare Lösungen für die Probleme dieser Familie gefunden. Es gibt viele schwere Probleme hier, notiert da der neue Pfarrer, aber es gibt auch enorme Ressourcen. Und schon ein Jahr später gründet er gemeinsam mit Clare Kalkwarf, ihrem Ehemann und einem weiteren Ehepaar die Bruderschaft des Seligen Gerhard (BBG). Sie bildet Grundlage und ideellen Hintergrund für ein caritatives Zentrum in Mandeni, als Nährboden für:
1. 1995 einen Kindergarten in Meeresnähe in oWhebede
2. 1996 ein Hospiz und Care-Zentrum neben der Pfarrkirche St. Anthony, die in den folgenden Jahren um AIDS Beratung, Kinderheim, Nothilfe, Nähschule etc. erweitert werden
3. 2003 die ärztliche geleitete HAART Behandlung für HIV Infizierte.
Der Gebäudekomplex der BBG aus hellen Ziegeln liegt neben der Pfarrkirche, zweistöckig, mit weithin leuchtenden Malteserkreuzen; er wächst ständig mit: Bald wird im 2. Stock mit dem Ausbau von neuen, hellen Zimmern für das Kinderheim begonnen werden. Das ist dann schon die vierte Erweiterung. Ebenerdig liegt links des Haupteingangs die Kirche, die dem Sel. Gerhard geweiht ist; ein winziges Stückchen aus seinem Oberarm liegt in ihrem Altar zu Füßen eines großen Kruzifixes, dessen Corpus aus einheimischen Holz von einem hiesigen Künstler geschnitzt wurde. „Thombothi“ heißt das Holz und verkörpert in seiner Zweifarbigkeit symbolhaft eine Kernaussage dieses erstaunlichen Ortes: Helles und dunkles Holz bilden gemeinsam den Körper Christi – so wie hier in Mandeni aus europäischer Initiative und deren afrikanischer Ausführung eine sinnvolle, das Leben stärkende Synthese entstanden ist. Eine Art von Joint Venture als Frucht der Rainbow Nation.
Gegenüber der Kirche liegen Arzt- und Behandlungszimmer für ambulante Patienten, dahinter Schulungs- und Besprechungsräume. Wenn man die stets besetzte Rezeption passiert hat, liegen die Gemeinschaftsräume (Aufenthalts- und Speiseräume, Küche, Spülküche) genau gegenüber den Krankensälen des Hospiz. Auch das ist bemerkenswert: Das Eingebunden-Sein der Schwerkranken in die alltäglichen Lebensabläufe; auf dem Flur ist immer etwas los, die Kinder laufen ab und zu hier durch, Mitarbeiter sprechen und scherzen auch, alle möglichen Lieferanten, Besucher gehen vorbei … Das ist ganz anders als die Einsamkeit, aus der die Verlorenen hergeholt wurden. Sie gehören dazu, sind auch als wirtschaftlich Erfolglose hier Teil der Gemeinschaft. Und die Kinder, die genau oberhalb der Krankenzimmer leben, lernen von Anfang an, dass Krankheit und schweres Leiden vom Leben nicht zu trennen sind. Im Anschluss an die großen Säle mit bis zu neun Betten liegen wenige Einzel- und Doppelzimmer - für die letzten, schwersten Momente, wenn den Sterbenden menschliche Nähe Seelsorge und Palliativmedizin in würdiger Umgebung ermöglicht werden. Die hauseigene Wäscherei, Material- und Werkstatträume beschließen das Erdgeschoß, darüber liegen Verwaltungsräume, Wohnungen, Gastzimmer sowie die verschiedenen Bereiche des Kinderheims. Zur Zeit sind es 37 Kinder, die in der BBG Auf- und Annahme fanden. Sie sind teils nach dem Tod ihrer AIDS kranken Eltern verwaist oder kommen aus Familien, wo sie nicht hätten unbeschadet heranwachsen können. Hier sind sie bestens aufgehoben, erleben als Gruppe einen strukturierten Tagesablauf mit Schule, Hausaufgaben, weitläufigen Grünflächen zum Spielen, mit Vertrauenspersonen. Als einige bei einem Schulkonzert mitmachen, sind auch Pater Gerhard und Aunty Caroline als Leiterin des Heimes unter den Zuhörern, was sich gut auswirkt auf die Motivation. Bleiben können die Kinder hier bis sie das 18. Lebensjahr erreicht haben und stehen auch danach nicht allein in der Welt; die Gruppe der 12 bis 16 Jährigen lebt bereits in einer gesonderten Wohnung im 2. Stock des Zentrums; hier trainieren 10 Jugendliche in Vorbereitung auf die Selbständigkeit; sie kochen, putzen, halten Ordnung in eigener Verantwortung .
Zur Zeit der Gründung des Hospiz liegt die Zahl der AIDS Erkrankten bei 10% der Bevölkerung, heute haben sich die bedrückenden Zahlen in diesem Teil der Provinz verachtfacht. (1/3 der Gesamtbevölkerung Südafrikas sind heute HIV pos., die KwaZulu/Natal sind es doppelt so viele Menschen.) Mandeni ist zur AIDS-Weltkapitale geworden.
Warum? Das übliche euro-moral-zentrische Gemurmel hilft und erklärt nicht viel. Die hier gewachsene Kultur fordert männliche Männer mit vielen Frauen und noch mehr Kindern. Letztere sind nicht nur sichtbarer Beweis von Virilität sondern garantieren die Altersfürsorge. Kondome, die bei Post, Bank etc. kostenfrei verteilt werden, sind daher wenig akzeptabel. Außerdem, wird gesagt, schützen sie so gut, wie ein Regenschirm bei sehr starkem Regen schützen könne. Eben nicht vollkommen. Neben Polygamie, überkommenen Sitten stellt v.a. die ökonomische Situation einen Hauptfaktor der Misere. Seit dem Ende der Apartheid befinden sich viele der hiesigen Unternehmen in großer Krise. Mehr als die Hälfte aller potentiell Berufstätigen ist in diesem Teil Südafrikas ohne Arbeit . Arbeitslosigkeit, Verarmung, ja Verelendung kamen in ein schon zuvor nicht wohlhabendes Land. Heute arbeiten viele Männer in fern gelegenen Provinzen; wenn sie nach Hause kommen, bringen sie wenig Geld und sehr oft den HIV Virus mit. Die zurückbleibenden Frauen müssen für die Kinder und sich selbst sorgen. Da das ohne Arbeitsplatz unmöglich ist, greift hier das System der sog. „sugar daddies“: Ein Freier ‚mietet‘ sich eine bestimmte Zeit eine Frau, die als Gegenleistung für ihre stets abrufbaren Dienste, von ihm regelmäßig einen Zuschuss zum Lebensunterhalt bekommt. Das reicht dann z.B. für die Kosten der Wohnung, für die Nahrungsmittel zahlt ein weiterer sugar daddy; ein dritter übernimmt die Telefongebühren… und bei all diesen Kontakten wird der HIV Virus weiter und weiter gegeben. Kinder von HIV pos. Müttern werden zwar noch gesund geboren, 30% werden während der Geburt infiziert, weitere 10% über die Muttermilch.
Das BBG Care-Zentrum hat sich in seinen Schwerpunkten diesen Leidenswegen angepasst und deren Schrecken für nicht wenige Menschen gemindert. Fast erscheint es mir, als ob der Herrgott wieder einmal vorgesorgt hat, als er seinen Mitarbeiter als Leib- und Seelsorger in genau diesen, kranken, Weinberg schickte!
In der HIV Welt-Hauptstadt Mandeni gibt es durch die BBG wirkliche und wirksame Hilfe: Vorsorge in Form von breitenwirksamer Aufklärung und Fürsorge für die Kinder der Erkrankten, Versorgung und Therapierung der Betroffenen, sorgfältige und anteilnehmende Begleitung der Sterbenden. Und all dies geschieht durch qualifizierte Mitarbeiter: 76 sind fest angestellt und in unterschiedlichem Maß professionell als Krankenpfleger, Schwesternhelferin, Pflegeassistent ausgebildet. Der Pflegestandard ist hoch und wird ständig überprüft. Weitere Tausend helfen freiwillig und ehrenamtlich im Zentrum, erhalten für ihren Dienst einen Fahrtkostenzuschuss und zwei Mahlzeiten. Es ist ein geradezu ideales Verhältnis zwischen Arbeitsplatz und Mitarbeitern; eine ‚win-win‘ Situation. Denn der im Zentrum erbrachte Dienst bedeutet nicht nur fachkompetente und menschenfreundliche Hilfe für Menschen, denen sonst niemand helfen würde; sondern hier zu arbeiten sichert sowohl die materielle Basis der Familie, wie es zudem einen beträchtlichen Zuwachs an Sozialprestige mit sich bringt. Die Träger des weißen Malteserkreuzes auf rotem Grund sind hoch angesehen und die Ambulanzwagen, die unermüdlich in Townships und verstreuten Zulu-Siedlungen Einsatz fahren, sind überall willkommen als Überbringer von Beistand und kompetenter Hilfe. Und schließlich kommt das hier Erlernte auch noch den Kranken in der eigenen Familie zu Gute.
Nicht alle Hospizpatienten sterben; diejenigen, die gestärkt nach Hause zurückkehren können, werden fürderhin vom Team der Ambulanz besucht. Auch bei HIV pos. Teilnehmern der AIDS Medikation tauchen regelmäßig die Malteserwagen auf, oder es kommt der Therapie-Berater zu ihnen nach Hause. Information, Wissen um die Krankheit ist eine unabdingbare Voraussetzung für alle, die das HAART Programm anwenden, und nur wer vorab an einem Kurs teilgenommen hat, ist zur Behandlung zugelassen. Dieser Kurs wird innerhalb von drei Wochen im BBG Zentrum durchgeführt. Hier werden Krankheitsursachen, ihre Folgen und die Wirkweise der Medikamente erklärt und den Patienten gezeigt, dass nur die hundertprozentige Befolgung der ärztlichen Anweisungen den Erfolg garantieren.
Kontinuierlich und wie alles, was das BBG Zentrum leistet, kostenlos werden die AIDS Tests durchgeführt. Sie helfen einerseits zu kontrollieren, ob der am HAART-Programm Teilnehmende seinen Medikamentenplan konsequent einhält und ermöglichen zudem die Früherkennung von Neuinfektionen.
Kostenlos: Für keine einzige der vielartigen Hilfsleistungen des gesamten Zentrum müssen die Nutznießer zahlen; das können sie auch nicht. Alles, was täglich und im Lauf der Jahre an Kosten zusammenkommt, wird ausschließlich aus Spendenmitteln beglichen. Pater Gerhard, der bekennt, dass er gar nicht gern ‚betteln geht‘, reist monatelang durch Europa, um Gelder für die BBG und die Menschen aufzutreiben, die sonst ohne jegliche Hilfe bleiben. Das Highly Active Anti Retroviral Therapy/ HAART – Programm basiert auf einer Behandlungsmethode, die in den U.S.A. entwickelt wurde. Seit Beginn dieses Jahrtausends finanziert die U.S. amerikanische Regierung ein Projekt, das von G.W. Bush initiiert worden ist: Medikamente für HIV Infizierte, die bei korrekter Einnahme verhindern, dass sich der tödliche Virus im Körper ausbreitet; die Lebenszeit ist inzwischen durch diese Behandlung um bis zu 30 Jahre verlängert. Was dazu führt, erklärt mir Pater Gerhard, dass die Betroffenen ihre Kinder groß ziehen und auch wieder berufstätig werden können. Jeder Staat kann sich darüber freuen, wenn auf diese Weise Familien intakt und wirtschaftlich versorgt bleiben! Das PEPFAR Programm der Amerikaner ist ganz Afrika zu Hilfe gekommen und dies über viele Jahre.
Im BBG Care-Zentrum wurde schon 2003 mit diesem Programm unter ärztlicher Aufsicht angefangen; ein Jahr, bevor die Regierung landesweit gegen die Ausbreitung des HIV Virus anzugehen begann. Erst die jüngste und massive Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass nach dem allmählichen Ausscheiden der Amerikaner als Financiers neue Geldgeber gefunden werden müssen. Für ein Jahr ist die südafrikanische Bischofskonferenz eingesprungen. Während meines Aufenthalts in Mandeni kommt die gute Nachricht, dass es gelungen ist, die Regierung als zukünftigen Träger der HAART Behandlung zu gewinnen. Für die maßgeblich an diesem Erfolg Beteiligten (der U.S. amerikanischen Ärztin Dr Ruth Stark, ihren hiesigen Mitarbeitern und dem RA der Bischofskonferenz) gibt Pater Gerhard ein viergängiges Abendessen, das er selbst zubereitet hat. Mit dem krönenden Abschluss seiner selbstgebackenen Schwarzwälder Kirschtorte, die – wie der ganze Abend – großen Anklang findet. Wie staune ich über die breit gefächerten Gaben dieses Ordensmannes! Das Kochen und Backen habe er von seiner Mutter gelernt, meint er bescheiden.
Die sonntäglichen Mittagessen, die er immer mit einer Gruppe aus dem Kinderheim einnimmt, kocht er zwar dann nicht selbst, aber er übernimmt bei dieser Gelegenheit die Rolle des väterlichen Erziehers. Reih um geht das, meist in der Folge der Zimmerbelegung des Kinderheims, das sich im 2. Stock des BBG Zentrums befindet. Jedes Kind kommt dran, und diese Sonntagsessen, die immer einem Ausflug vorangehen, sind keineswegs Belohnung oder an irgendwelche Bedingungen geknüpft. Nein, es ist wie zuhause: Der Vater macht auf dies und das (z.B. Medikamenteneinnahme, Benehmen bei Tisch) aufmerksam, fragt nach dem Befinden, wie es gehe in der Schule, etc. Die Kinder sind ernster als bei uns, dabei wohlerzogen und still; aber sie blühen auf, als es Eis gibt und dann auch endlich den Aufbruch in den Ausflugsnachmittag. Der unermüdliche Pater setzt sich ans Steuer und kutschiert die Kinder durch die schönen Lande. Hunderte male, seufzt er, sei er schon bei allen gängigen Ausflugszielen der Umgebung gewesen. Wegen der Kinder. An meinem ersten Sonntag in Mandeni darf ich mitfahren, über die Autobahn Richtung Süden, Durban; bei Ballito (wo sich das Mandeni nächstliegende private Krankenhaus befindet, erfahre ich; der Ort mit insgesamt fast einer Viertelmillion Einwohnern verfügt über kein eigenes Hospital) verlassen wir die N2 und fahren ganz nah am Strand des Indischen Ozeans entlang weiter nach Süden. Fahren durch die sonntagsleere Großstadt Durban, vorbei am schmucken Hafen zum uShaka Aquarium. Mit neun Kindern sehen wir Haie, Hummer, Quallen und… unzählige Meeresbewohner hinter dickem Glas; große Begeisterung ruft die Delphin-Schau hervor. An einem anderen Sonntag bringt Pater Gerhard eine Kindergruppe ins Shakaland. Hier, in ehemaligen Filmkulissen, die fast zu einem Art Museumsdorf heranwuchsen, erklärt ein deutscher Benediktiner den staunenden Zulukindern die Kultur ihrer Vorfahren.
Pater Gerhard weiß viel und spannend zu berichten über Vergangenheit, Kultur, Glaubensinhalte der Zulu hier und er wird nicht müde (trotz seiner langen Arbeitstage mit den unzählig vielen Aufgaben hier und in Europa) davon zu erzählen. Auch darf ich in seinen zahllosen Büchern stöbern und weitere Fragen stellen. Neben den fundierten Kenntnissen überzeugt die Art, wie er über die indigenen Kulturen spricht: Sachlich, unvoreingenommen und ohne den besserwisserischen Unterton, den man andernorts manchmal heraushören kann, wenn es um außereuropäische Themen geht. Und er schätzt dieses Land Südafrika mit seinen so unterschiedlichen Einwohnern, in das er gesandt wurde durch Erzabt Notker Wolf vor 25 Jahren; fühlt sich hier genau am richtigen Platz. Das aufregende, in mancher Hinsicht wundersame Geschehen, als die Apartheid in demokratischen Wahlen zu Ende ging, kann er aus eigenem Erleben packend beschreiben.
Als neues Mitglied der BBG werde ich dem jungen, sehr sympathischen Arzt, Dr. Nzimande vorgestellt, der über das HAART Programm und seine Umsetzung im Care-Zentrum spricht. Vormittags ist er ausschließlich mit HIV Patienten beschäftigt, die ab morgens im Warteraum sitzen; wenn ihre Behandlung abgeschlossen ist kommt er nachmittags zur Visite ‚auf Station‘. Es sind Aufgaben und Krankenzahlen hoch wie der Berg des Sisiphos, aber dieser junge Arzt macht keineswegs einen erschöpften oder gar resignierten Eindruck. Nach den ersten Tagen bekomme ich auch so eine schöne weiße Malteser Bluse und kann mich ein wenig in den Krankenzimmern umtun. Eine junge und sehr fesche Pflegeassistentin, Fanelesibonge nimmt mich sogleich unter ihre Fittiche und erklärt die wesentlichen Arbeitsabläufe. Wenn an Werktagen die Hl. Messe beginnt und Kranke teilnehmen, bleiben aus Rücksicht alle Gläubigen sitzen. Die Morgenpflege hat dann bereits stattgefunden, offensichtlich vorbereitet durch die Mitarbeiter der Nachtschicht. Nach dem Frühstück werden die Betten gemacht, die Möbel und Böden desinfiziert; Wäscherei und Ausleerraum, auch die Küche arbeiten auf Hochtouren. Eine der examinierten Schwestern geht von Saal zu Saal, um die Medikamente zu verteilen und auf die korrekte Einnahme zu achten. Die Dokumentation wird fortgeführt und ist später Teil der Übergabe, die zwischen den Mitarbeitern der einzelnen Schichten im Besprechungsraum stattfindet. Wenn diese Arbeiten erledigt sind, kommen die Pfleger und Helfer in die Krankenzimmer zurück. Es gibt viel Zeit dann. Man sitzt und redet und hört auch zu. Die Gemeinschaftsräume werden kaum frequentiert, da die Mitarbeiter sich meist bei den Patienten aufhalten. Fanelesibonge singt oft und tanzt dazu. Meist herum um eine alte Patientin im Rollstuhl, ihre Schwiegermutter. Singend wirft sie die hübschen Beine in die Luft, jedes Funkenmariechen wäre neidisch, aber die Schwiegermutter spuckt wütend auf den Boden und alle fallen fast um vor Lachen. Dann beruhigt sie sich und muss selbst lachen. „Gogo“ (Großmütterchen) sagen die Pfleger zu ihr und alles ist wieder gut. Am späten Vormittag kommt Sr. Augustine, die Seelsorgerin. Sie geht ruhevoll von Bett zu Bett, spricht und hört zu. An manchen Betten steht sie länger, betet für den Menschen darin. Und alle andern sind dann still. Wenn das Team zu Mittag gegessen hat, werden die Kranken versorgt und wieder staune ich, wie selbstverständlich der Umgang zwischen ihnen und den Helfenden ist. Sie begegnen sich auf Augenhöhe, es wird nicht über die Köpfe der Kranken hinweg gesprochen; auch nicht während der Visite. Dann geht auch Dr. Nzimande geduldig er von Bett zu Bett, und fragt nach dem Befinden, sieht in Krankenakten ein, hält Rücksprache mit den Schwestern und Pflegern – und doch macht dies eher den Anschein eines mitmenschlichen Besuches; verläuft, wie alles hier, ohne Hast und Hektik.
Dieser Saal, wo Gogo von ihrer Schwiegertochter umsungen wird, wächst mir schnell ans Herz. Erstaunlich schnell und ganz ohne Worte (meine zaghaften Begrüßungsversuche in Zulu stoßen allseits auf Heiterkeit), nur mit Augen und Händen; Lächeln geht und Winken. Jeden Morgen winken wir uns zu, zarte dunkle Hände, die innen überraschend hell sind. Lauter ältere und sehr tapfere Frauen liegen hier. Die wenigsten können noch im Rollstuhl sitzen, viele leiden an den Folgen langjähriger (wohl unbehandelter) Diabetes 2, offene Beine, starke Gelenk- und Gefäßschädigungen, Apoplexie bedingte Lähmungen. Nur ganz selten hört man ein leises Weinen, gejammert wird nicht. An einem Montag nimmt die dreiköpfige Mannschaft der Malteser-Ambulanz mich mit in die umliegenden Siedlungen. Nach wenigen km auf asphaltierten Straßen schlingern wir über Höhen und Tiefen der Erdwege, die die einzelnen Townships verbinden. Jetzt spätestens leuchtet ein, warum hierzulande ein Ambulanzfahrzeug über Vierrad-Antrieb verfügen muss! Erster Patient ist heute ein großer, noch nicht alter Mann, der in seiner ganzen beträchtlichen Leibesfülle auf einem heruntergekommenen Sofa sitzt. Er ist allein, HIV pos., kann sich nicht mehr ohne Hilfe bewegen. Für eine Weile war er stationär im BBG Zentrum, wurde in das HAART Programm aufgenommen. Es gibt eine Tochter, die ihn versorgt, aber sie arbeitet irgendwo. Er bleibt den ganzen Tag hier sitzen, im Einraum-Haus, mit wenigen Gegenständen, die irgendwann Möbel waren. Jetzt misst Nkanyiso vom Ambulanz-Team Blutdruck und Temperatur und trägt die Werte in die Patientenakte ein; fragt seine Kollegin Buhlebuyeza nach, wie es mit der Einnahme der Medikamente gehe. Es ist sehr bedrückend. Ein Termin mit dem Sozialarbeiter soll vereinbart werden. Dann brechen wir auf, lassen ihn zurück mit dem Blick in die grüne sonnenbeschienene Umgebung. Ich bitte um seine Erlaubnis für ein Foto, er winkt mir zu durch das blinde Fensterglas, lächelt.
Unbeschreibliche Zustände; Hitze unter Blechdächern, Schmutz, Armut, Unrat, geringe Möblierung wenn überhaupt. Eine vom Schlaganfall gelähmte Frau liegt draußen auf einer Matratze im Halbschatten; die Nachbarn hatten angerufen ihretwegen und stehen ratlos um sie herum. Und das Malteser Team tut seinen Dienst, zuverlässig, unaufgeregt und wieder ohne jegliches Über-den-Kopf-Hinwegreden. Einmal gilt es Streit zu schlichten. Buhlebuyza, die eine sehr schöne Art hat, zuzuhören und jeden ausreden zu lassen, gibt auch jetzt den Redenden Zeit und antwortet mit Bedacht. Es ist schön und auch überzeugend, wie diese drei jungen Menschen umgehen mit den Menschen in Not.
Ich bin sehr, sehr beeindruckt von den 2 Mandeni-Wochen. Tapfer und mitmenschlich sind die Menschen hier und halten sich auch nicht auf mit der Frage, wie Gott das zulassen kann. Dass es Kinder mit HIV Virus gibt, dass die wunderbare Mitgründerin der BBG, Clare Kalkwarf, vor sechs Jahren von Raubmördern erschossen wurde, dass in einem solch schönen Land soviel und so früh gestorben werden muss. Sie machen einfach weiter, jeden Tag, beherzt und unbekümmert. Mir scheinen ganze Welten zu liegen zwischen der gelebten Botschaft Jesu mitten in seiner Kirche hier im Zululand – und dem Dauernörgeln am Katholischen zuhause.
Pater Gerhard (der sich hoffentlich nicht über sein Maß verausgaben wird mit all dem, was er täglich und bis tief in die Nacht tut für diese Bruderschaft) sagt, dass das Zulu Begrüßungswort „sawubona“ wörtlich heißt „ich nehme dich wahr“. Das ist genau, was hier in der Bruderschaft des Sel. Gerhard geschieht: Der leidende Mensch wird wahrgenommen, eben nicht nur rundum versorgt. Und der Malteser Orden kann sich freuen über dieses Flaggschiff der Nächstenliebe, im äußersten Süden Afrikas.
Dr. Katja Heering